Harald Maier-Metz, Entlassungsgrund: Pazifismus. Albrecht Götze, der Fall Gumbel und die Marburger Universität 1930–1946, Münster: Waxmann Verlag 2015.
Dietrich Heither, Ich wusste, was ich tat. Emil Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer Republik, Köln: PapyRossa Verlag 2016.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Christian Jansen, Universität Trier.
Emil Julius Gumbel hat derzeit (wieder) Konjunktur. Nach einem ersten Revival in den 1980er-/90er-Jahren mit dem Reprint einiger Werke, vor allem im Heidelberger Verlag Das Wunderhorn und mehreren Biografien war er in den letzten 25 Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber nun hat der SWR den jungen Filmemacher David Ruf beauftragt einen Dokumentarfilm mit Spielszenen über Gumbel zu drehen, der 2019 ausgestrahlt werden soll. Matthias Scherer, ein junger Professor für Finanzmathematik an der Technischen Universität München, und seine Mitarbeiterin Lexuri Fernández haben Gumbel als Statistiker wiederentdeckt, knüpfen an seine Forschungen im Bereich der Extremwertstatistik an und haben darüber in den Zeitschriften „Risiko-Manager“ (Heft 5/2016) und „Extremes“ (DOI 10.1007/s10687-017-0299-z) publiziert. Am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum gibt es seit 2016 eine von der Brandenburgischen Landesregierung finanzierte „Emil Julius Gumbel-Forschungsstelle“ (https:/
Dieses gewachsene Interesse an dem ersten Heidelberger Professor für Statistik, der 1932 bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme wegen seines Engagements gegen Nationalismus, Militarismus und die Gegner der Weimarer Verfassungsordnung seine Lehrberechtigung verlor und ins Exil ging, zeigt sich auch auf dem Buchmarkt. So sind gleich zwei Neuerscheinungen über Gumbel zu vermelden. Sie haben recht unterschiedlichen Charakter, weshalb sich eine kontrastive Besprechung anbietet.
Das Buch von Dietrich Heither, einem Lehrer, der bereits mehrere Bücher vor allem zum studentischen Rechtsextremismus (Korporationen, Burschenschaften) vorgelegt hat, bietet für alle, die noch nie etwas über oder von Gumbel gelesen haben, einen kostengünstigen Einstieg auf 130 Seiten auf der Basis der neuesten Forschung, die er konzise zusammenfasst, ohne selbst biographisch geforscht zu haben. Man erfährt im Stile wenig kritischer Heldengeschichtsschreibung die wichtigsten Fakten über den „Kämpfer gegen die Wegbereiter der Barbarei“ und seine „antifaschistische Aufklärung im besten Sinne“, zuweilen im überholt geglaubten DDR-Jargon, wenngleich Heither selber die Politik der KPD und später der DDR durchaus kritisch betrachtet. Gumbel wird gegen „Entlastungsbemühungen“ hinsichtlich der deutschen Schuld am Ersten Weltkrieg bemüht, die Heither bei Christopher Clark und Herfried Münkler unterstellt. An manchen Stellen werden lange verjährte, aber offenbar immer noch identitätsbestimmende alte Kontroversen, etwa mit dem konservativen Historiker Michael Stürmer und CSU-Chef Franz Josef Strauß aufgewärmt und linke Überväter wie Reinhard Kühnl und Wolfgang Abendroth ins Feld geführt. Statt dieser Politisierung hätte ich eine nüchternere Darstellung bevorzugt. Denn Sachlichkeit schließt keineswegs Empathie mit dem couragierten Zivilisten Emil Julius Gumbel aus, der als unabhängiger Linksintellektueller und Wissenschaftler seine politische Verantwortung zeitlebens ernst genommen und sich vorbildlich für Werte engagiert hat, die erst seit den 1960er-Jahren in Deutschland mehrheitsfähig waren. Vielleicht wären mit mehr Nüchternheit und weniger linkem Jargon sogar mehr Leser/innen für den Querkopf und bis heute anschlussfähigen Denker Gumbel zu begeistern! Es bleibt ein zwiespältiger Gesamteindruck: Einerseits hat Heither die vorhandenen Publikationen genau gelesen und bietet nicht nur die wichtigsten Stationen der Biografie auf knappem Raum, sondern auch (vor allem in den Fußnoten) neue Details, zum Beispiel aus den 2016 von Carsten Dutt und Eike Wolgast edierten Jaspers-Briefen. Andererseits fehlt an vielen Stellen die wissenschaftliche Sorgfalt, zum Beispiel wenn Heither für die extreme Rechte die apologetische Selbstbezeichnung „national“ oder „rechtsnational“ übernimmt (S. 64f.), oder wenn er einen Artikel Heinrich August Winklers auf 1914 datiert (S. 116). weiterlesen
Empfohlene Zitierweise
Christian Jansen: Rezension zu: Maier-Metz, Harald: Entlassungsgrund: Pazifismus. Albrecht Götze, der Fall Gumbel und die Marburger Universität 1930–1946. Münster 2015 / Heither, Dietrich: Ich wusste, was ich tat. Emil Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer Republik. Köln 2016 , in: H-Soz-Kult, 18.09.2018, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27071>.