Rezension: Martin Diebel, Atomkrieg und andere Katastrophen

Martin Diebel, Atomkrieg und andere Katastrophen. Zivil- und Katastrophenschutz in der Bundesrepublik und Großbritannien nach 1945, Paderborn: Schöningh 2017.

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Cornelia Grosse, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam.

„Am Anfang war die Bombe – und am Ende stand der ‚Super-GAU‘“ (S. 320). Betrachtet man die Entwicklung der atomaren Bedrohungslage im Verlauf des Kalten Krieges aus der globalen Perspektive eines Satelliten, scheinen diese beiden Zäsuren alle anderen Ereignisse zu überstrahlen. Doch wie Martin Diebel in seiner detailreichen Analyse aufzeigt, stand der Reaktorunfall von Tschernobyl vielmehr als Sinnbild für ein über Jahrzehnte gewandeltes Sicherheitsparadigma im Zivilschutz. Und dieser Wandlungsprozess war dabei keineswegs zwangsläufig.

Diebel ordnet sich mit seiner Forschung in den relativ jungen Zweig der historischen Sicherheitsforschung ein. Der Bereich der Zivilschutz-Forschung, der international bereits seit Längerem Aufmerksamkeit erfährt – allen voran in den USA [1] – wurde für die Zeit der Bundesrepublik bisher noch nicht in größerem Umfang untersucht. Neben Studien zum Luftschutz, die vor allem die Zeit vor 1945 in den Blick nehmen oder Einzelaspekte des Zivilschutzes behandeln [2], hat Matthew Grant das entsprechende Grundlagenwerk zum Zivilschutz in Großbritannien verfasst.[3] Diebel legt die erste umfassende Arbeit zum Zivilschutz für die Zeit der Bundesrepublik vor. Seine Analyse gewinnt dabei eine weitere Schicht durch die Entscheidung für eine vergleichende Perspektive. Diebels respektable Forscherleistung besteht somit nicht unerheblich darin, für ein nur marginal erforschtes Thema einen komparativen Ansatz gewählt zu haben. Dieser wird zusätzlich erweitert, indem er auf transnationale Kooperationsformen, beispielweise im Rahmen der International Civil Defense Organisation (ICDO) eingeht.

Im Zentrum der auf umfassendem Quellenmaterial basierenden Arbeit steht somit die Untersuchung der Entwicklung von Sicherheitsvorstellungen in zwei westeuropäischen Staaten: Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland. Diebel betont dabei, dass sein Fokus eindeutig auf der Bundesrepublik liegt und Großbritannien vor allem als Vergleichsfolie dient (S. 16). Nichtsdestotrotz werden die Entwicklungen in Großbritannien in weiten Teilen der Arbeit ebenfalls detailliert dargestellt, beispielsweise bei der Analyse der Auseinandersetzungen zwischen Zentral- und Lokalregierungen zu Belangen des Zivilschutzes (so S. 217–232). weiterlesen

[1] U.a. Tracy C. Davis, Stages of Emergency. Cold War nuclear civil defense, Durham 2007; aktuell: Edward M. Geist, Armageddon Insurance. Civil defense in the United States and Soviet Union, 1945–1991, The New Cold War History Series, Chapel Hill 2019.
[2] Bernd Lemke, Luft- und Zivilschutz in Deutschland im 20. Jahrhundert, Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 5, Potsdam 2007; Frank Biess, „Jeder hat eine Chance“. Die Zivilschutzkampagnen der 1960er Jahre und die Angstgeschichte der Bundesrepublik, in: Bernd Greiner / Christian Th. Müller / Dierk Walter (Hrsg.), Angst im Kalten Krieg, Studien zum Kalten Krieg, 3, Hamburg 2009, S. 61–94; Jochen Molitor, Mit der Bombe überleben. Die Zivilschutzliteratur in der Bundesrepublik 1960–1965, Marburg 2011.
[3] Matthew Grant, After the bomb. Civil defence and nuclear war in Britain, 1945–1968, Basingstoke 2010.

Empfohlene Zitierweise
Cornelia Grosse: Rezension zu: Diebel, Martin: Atomkrieg und andere Katastrophen. Zivil- und Katastrophenschutz in der Bundesrepublik und Großbritannien nach 1945. Paderborn  2017 , in: H-Soz-Kult, 29.05.2019, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28332>.