Rezension – F. Emmert: Tschechen in der deutschen Wehrmacht

František Emmert, Tschechen in der deutschen Wehrmacht. Totgeschwiegene Schicksale, Kehl 2021: Morstadt.

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Nina Janz, Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH), Université du Luxembourg.

In der Wehrmacht dienten neben den Reichsdeutschen auch Nichtdeutsche wie Österreicher, Polen, Luxemburger und Tschechen und nahmen aktiv am Zweiten Weltkrieg teil. Die eingezogenen Tschechen stammten aus zwei kleinen Regionen, dem Hultschiner Ländchen und aus Teschen. Während das Hultschiner Ländchen im Zuge des Münchner Abkommens von Oktober 1938 annektiert und den Einwohnern über Volkslisten die Staatsbürgerschaft verliehen bzw. reaktiviert wurde, fügte man das Teschener Gebiet nach der Zerschlagung Polens dem Gau Oberschlesien hinzu. Die deutschstämmigen Schlesier unterlagen damit der Wehrpflicht, andere Einwohner wurden über Volkslisten eingedeutscht und ebenfalls wehrfähig gemacht. Die Staatsbürgerschaft führte damit zwar zu zahlreichen Privilegien im NS-Staat, wie etwa dem Anrecht auf eine Arbeitsstelle, aber auch zu Verpflichtungen wie dem Wehrdienst.

In dem erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen Werk von František Emmert sprechen Hultschiner und Teschen über ihre Erfahrungen in der Wehrmacht. Den Hintergrund der multiethnischen Herkunftsregionen dieser Gruppe erläutert Bernd Martin, emeritierter Professor an der Universität Freiburg, in einer ausführlichen Einleitung. Im Vorwort ergänzt Emmert den historischen Kontext der Rekrutierung, der Eindeutschung und der verschiedenen Diskussionsmuster der Soldaten als „Opfer des Nazi-Regimes“ (S. 34) und die anschließende „Pardonisierung“ nach dem Krieg (S. 38).

Die Zeitzeugen berichten über ihren Alltag in der Vorkriegszeit, den Reichsarbeitsdienst, die Rekrutierung in die Wehrmacht, den Krieg an der Front, über ihre Gefangenschaft sowie über die Rückkehr in die Heimat. Die Veteranen dienten an verschiedenen Fronten, im Heer, der Marine und als Piloten bei der Luftwaffe. In den als Interviews angelegten Berichten tritt das Spannungsverhältnis zwischen Sprache, Kultur und Tradition und der Abgrenzung (bzw. Zugehörigkeit) der Hultschiner und Teschen in deutscher Uniform zum Deutschtum während der Dienstzeit besonders deutlich hervor. Die Vielfalt an Religionen, Sprachen und Kulturen dieser Territorien implizierte eine Mischung aus verschiedenen Identitäten, politischen und nationalen Überzeugungen. Einerseits folgten die jungen Männer, wie die Veteranen berichten, dem Dienstbefehl, mit der Hoffnung, der Spuk sei bald vorbei; während andere Soldaten wie Stephan V. jede Möglichkeit zur Desertion suchten und Kontakte zum tschechoslowakischen Widerstand aufbauten (S. 84). Für andere Soldaten wie Otmar Malir bedeutete die Gefangennahme das lang ersehnte Ende der Dienstzeit in der Wehrmacht und damit die Möglichkeit, sich zum Einsatz in der tschechoslowakischen Armee zuerst in Großbritannien, später in Frankreich, zu melden (S. 58–67).

Die Identifikation mit der eigenen Kultur und Nation wird von den Interviewten hervorgehoben, um sich bewusst von der reichsdeutschen Soldatengemeinschaft abzugrenzen. Viele konnten kein Deutsch oder lernten Deutsch sogar erst in der Wehrmacht (oder verbesserten es dort). Die Unterschiede zu den deutschen Soldaten und die eigene Identität als Tschechoslowake oder Hultschiner werden von den Zeitzeugen explizit hervorgehoben. Insgesamt wurden gemäß dem Autor 30.000 Tschechen eingezogen, darunter 12.000 Hultschiner (davon 3.000 gefallen) und 20.000 Teschen (davon 600 gefallen, S. 39).

Die Erlebnisse der ehemaligen tschechischen Wehrmachtsangehörigen sind eine einmalige Quelle, über die in Tschechien wenig bekannt ist, wie der Autor im Vorwort erläutert. Der Kontext der multiethnischen Soldatengemeinschaft in der Wehrmacht ist anhand der Hultschiner und der Teschen durchaus eindrucksvoll wiedergegeben. Militärhistorisch ist die Integration der nichtdeutschen Waffenträger in einigen Studien bereits dargestellt und in Einzelwerken wie zu den österreichischen Soldaten, den Soldaten aus Polen oder etwa aus Eupen-Malmedy und Luxemburg von Historikern aufgegriffen worden.

Trotz der sehr eindrücklich geschilderten Berichte der Veteranen lässt sich das Werk nur schwer einordnen. Neben populärwissenschaftlichen Abschnitten zur Geschichte der Annektierung Teschens und des Hultschiner Ländchens und damit der Einführung der Wehrpflicht ist Emmerts Buch eine Lektüre, um die Thematik der nichtdeutschen Soldaten besser bekannt zu machen. Die Einführung von Martin, der das Thema historisch einbettet und damit den einzigen wissenschaftlichen Abschnitt des Buches liefert, ist ein entscheidender Part, um die kulturelle und sprachliche Besonderheit der „Tschechen“ in den deutschen Streitkräften zu betonen. In den Berichten über die Fronterlebnisse und die Dienstzeit in den NS-Streitkräften kommt die innere Zerrissenheit und das Spannungsverhältnis zwischen den vielfältigen Identitäten und Kulturen der Soldaten zur Geltung. Waren sie nun Tschechen, Schlesier, Deutsche oder im Falle der Teschen Schlonksen? Karel P. schildert seine Erlebnisse, nach denen er als Schlesier ein Bürger zweiter Klasse gewesen sei und von den reichsdeutschen Kameraden ausgrenzt wurde (S. 126). Die Erfahrungsberichte geben die widersprüchlichen Geschichten dieser Lebensläufe in der deutschen Wehrmacht wieder und stellen damit einen Einblick in die Kriegserfahrung der Betroffenen dar.

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Empfohlene Zitierweise
Nina Janz: Rezension zu: František Emmert, Tschechen in der deutschen Wehrmacht. Totgeschwiegene Schicksale, Kehl 2021, in: H-Soz-Kult, 26.08.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-96511>.