Alison Kraft/Carola Sachse (Hrsg.), Science, (Anti-)Communism and Diplomacy. The Pugwash Conferences on Science and World Affairs in the Early Cold War (History of Modern Science 3), Leiden: Brill Academic Publishers 2019.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Lukas Mengelkamp, Fachgebiet Neuere Geschichte (19./20. Jahrhundert), Philipps-Universität Marburg
1957 fand in dem kleinen Dorf Pugwash in der kanadischen Provinz Nova Scotia eine Wissenschaftlerkonferenz statt (die Anwesenden waren zu diesem Zeitpunkt noch alle Männer), deren Zweck es war, durch wissenschaftlichen Austausch über die Blockgrenzen hinweg internationale Entspannung zu ermöglichen. „Pugwash“ wurde anschließend der Name für die Organisation und die von ihr veranstalteten Folge-Konferenzen. Von Beginn an wurde Pugwash insbesondere in den USA kommunistischer Umtriebe verdächtigt und die Geschichte von Pugwash ist vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts nie unumstritten gewesen. Es ist das Verdienst des vorliegenden Sammelbandes, erstmals umfassend und auf breiter Quellengrundlage die Geschichte von Pugwash für die Jahre 1955 bis 1965 auszuleuchten, ohne dabei hagiographischen oder verdammenden Tendenzen zu verfallen.
Zu den bestimmenden Ausgangsfragen für alle Beiträge zählt, wie die jeweilige nationale Verankerung der in Pugwash organisierten Wissenschaftler:innen ihr Handeln prägte, Möglichkeiten eröffnete, aber auch Grenzen setzte. Dies ist insbesondere deshalb eine fruchtbare Fragestellung, da sie die Pugwash-Rhetorik der über alle politischen und geografischen Grenzen durch die „Sprache der Wissenschaft“ verbundenen Wissenschaftler:innen gegen den Strich bürstet.
Der Band beginnt mit einem Beitrag von Geoffrey Roberts zur Rolle des Physikers Frédéric Joliot-Curie sowie der „World Federation of Scientific Workers“ (WFSW) bei der Gründung von Pugwash. Der Beitrag zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er das Bild der vollkommen abgeschotteten Sowjetunion in den letzten Jahren der Herrschaft Stalins relativiert. Vielmehr gab es noch zu Lebzeiten Stalins über die WFSW und den „World Peace Council“ (WPC) transnationale Kontakte zwischen Wissenschaftlern, auf die Pugwash nach Stalins Tod aufbauen konnte. Es folgt ein Aufsatz von Carola Sachse zum schwierigen Verhältnis zwischen den Pugwash-Wissenschaftler:innen und dem für die Finanzierung der ersten Konferenzen existentiell wichtigen Philantropen Cyrus Eaton. Eaton, in der US-Presse auch als „Khrushchev’s Favorite Capitalist“ (S. 94) bekannt, versuchte immer wieder, die Pugwash-Konferenzen in der Öffentlichkeit als unterstützendes Element seines persönlichen Engagements für eine Verständigungspolitik mit der Sowjetunion darzustellen. Da der in Washingtoner Kreisen zweifelhafte Ruf Eatons aber das Bemühen um Kontakte in die Politik erschwerte, waren die Wissenschaftler:innen schlussendlich gezwungen, sich zwischen Eatons Finanzierungshilfen und ihrem Ruf als neutrale und objektive Vermittler:innen von Wissen zu entscheiden.
Der dritte Beitrag von Fabian Lüscher widmet sich der ersten Generation sowjetischer Wissenschaftler, die in Pugwash aktiv waren. Dabei stellt er insbesondere das zwiespältige Verhältnis zwischen ihren Loyalitäten gegenüber Staat und Partei sowie ihrer Loyalität gegenüber der „Gemeinschaft der Wissenschaftler:innen“ in den Mittelpunkt. Aus offizieller Perspektive gab es diesen Widerspruch nicht, da die Arbeit fortschrittlicher Wissenschaftler:innen letztendlich immer ein Beitrag zum Aufbau des Kommunismus war. In der Realität von Pugwash mussten die sowjetischen Wissenschaftler einerseits die Parteilinie vertreten, da sie vom KGB überwacht wurden. Andererseits mussten sie auch in ihren westlichen Gegenübern den Eindruck erwecken, dass sie als Wissenschaftler in Moskau Gehör fanden, auch wenn die in Pugwash entwickelten Positionen einmal von der Parteilinie abweichen sollten. Daraus resultierte ein Dilemma, welches permanentes Abwägen notwendig machte.
Der folgende Aufsatz von Paul Robinson stellt die langwierigen Folgen der McCarthy-Ära und des Anti-Kommunismus in den USA heraus. Kurioserweise sahen die US-amerikanischen Pugwash-Teilnehmer:innen darin weniger eine Gefahr, als sich unwissentlich von philanthropischen Organisationen finanziell abhängig zu machen, die wiederum von der CIA finanziert wurden. Sie befürchteten unter diesen Umständen, innerhalb von Pugwash gegenüber ihren westeuropäischen Partnern an Einfluss zu verlieren. Gleichzeitig übersahen sie dabei, dass die anti-kommunistischen Diffamierungen während der Präsidentschaft Lyndon B. Johnsons zu einem Verlust an Kontakten in die Regierung und erschwerter Akquise von Fördermitteln führten.
Der fünfte Beitrag zur chinesischen (Nicht-)Teilnahme an Pugwash kann als einer der faszinierendsten des Bandes gelten. Gordon Barret arbeitet darin heraus, wie Pugwash auch als transnationales Netzwerk von Wissenschaftler:innen fungierte. Über zwei Jahrzehnte versuchte ein Netzwerk um die britische Chemikerin Dorothy Hodgkin Kontakt zu dem chinesischen Physiker Zhou Peiyuan zu halten. Trotz der zeitweilig schwierigen innenpolitischen Situation Chinas im Zeichen der Kulturrevolution hatte dieses langanhaltende Engagement Erfolg und führte 1985 zur erstmaligen Wiederteilnahme einer chinesischen Delegation seit 1960. Doch um diesen Erfolg möglich zu machen, musste nicht zuletzt die chinesische Zensur überwunden werden. Dies geschah unter anderem, indem „zufällige“ Begegnungen zwischen Pugwash-Mitgliedern und Peiyuan während dessen Reisen nach Europa, die offiziell anderen Zwecken dienten, organisiert wurden.
Empfohlene Zitierweise
Lukas Mengelkamp: Rezension zu: Kraft, Alison; Sachse, Carola (Hrsg.): Science, (Anti-)Communism and Diplomacy. The Pugwash Conferences on Science and World Affairs in the Early Cold War. Leiden 2019, in: H-Soz-Kult, 23.06.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29375>.