Rezension: T.A. Sayle: Enduring Alliance. A History of NATO and the Postwar Global Order

T. A. Sayle, Enduring Alliance. A History of NATO and the Postwar Global Order, Ithaca: Cornell University Press 2019.

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Jan Stöckmann, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Dieses Buch erscheint zu einem denkbar passenden Zeitpunkt. Während Donald Trump seine Bündnispartner zu höheren Verteidigungsausgaben drängt und Emmanuel Macron die Idee einer europäischen Armee aufwärmt, legt Timothy Andrews Sayle von der University of Toronto eine umfassende Innenschau der NATO vor. Von den Anfängen des Bündnisses 1948 bis zum Ende des Kalten Krieges führt er seine Leserschaft versiert, anschaulich und unterhaltsam durch das nicht immer leicht verständliche Machtgefüge der transatlantischen Nachkriegsordnung. Der Untertitel ist gleichwohl etwas irreführend, geht es doch nicht um die globalen Ausprägungen des Bündnisses, ja nicht einmal um den Ost-West-Konflikt, sondern in erster Linie um interne Rivalitäten und das Verhältnis der Amerikaner zu den Europäern. Vereinfacht ausgedrückt lautet Sayles These, dass die NATO ihr Fortbestehen vor allem der Sorge um das europäische Machtgleichgewicht verdankt, das stets von sowjetischer Einflussnahme einerseits und wiederaufkeimendem deutschem Militarismus andererseits bedroht wurde, zugleich aber auch dem europäischen Wunsch, weiterhin von den Vereinigten Staaten protegiert zu werden.

Die altbekannte raison d’être der NATO – to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down – treffe nach Sayle insofern für ihre gesamte Lebensdauer zu, als dass die meisten ihrer Protagonisten sich von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts leiten ließen, nicht wie oft angenommen von den ideologischen Trennlinien des Kalten Krieges. Mit anderen Worten: Das beliebte Narrativ der NATO als einer Gemeinschaft freier und demokratischer Staaten, die auf gemeinsamen Traditionen oder gar Werten fuße, sei bestenfalls eine Fassade. Stattdessen habe sich das Bündnis vor allem darin bewährt, die Gefahren der Demokratie abzuwenden, nämlich die Tendenz einer desinteressierten Öffentlichkeit, sich entweder der sowjetischen Propaganda hinzugeben oder, schlimmer, aus den eigenen Reihen einen neuen starken Mann zu wählen (in der Tat geht es hier um Männer, denn mit Ausnahme von Margaret Thatcher tritt kein weiblicher Akteur in Erscheinung). Selbst nach Ende des Kalten Krieges bestehe diese amerikanische Sorge fort, erschwert durch die kümmerlichen Verteidigungsausgaben der Europäer, aber auch durch deren zögerliche Haltung zu Einsätzen in Afghanistan und Libyen.

Seine Argumentation ergibt sich aus einer detailreichen Schilderung von Gipfeltreffen, militärischen Planspielen und Notenwechseln, zusammengetragen aus einer Vielzahl anglo-amerikanischer Archive. Gleich zu Beginn stehen dabei jene Strategen im Vordergrund, die, wie der Leiter der Westeuropa-Abteilung im amerikanischen Außenministerium Theodore Achilles, die größte Gefahr im Wahlverhalten der europäischen Bevölkerung und in ihrer Manipulation durch politische Extremisten sahen. Das Trauma der Appeasement-Politik spielte hier besonders aus britischer Sicht eine wichtige Rolle. Spätestens nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsunion 1954 setzte sich daher die anglo-amerikanische Auffassung durch, dauerhaft alliierte Verbände in Westeuropa zu stationieren, deren Hauptaufgabe in politischer Abschreckung, nicht in militärischer Verteidigung bestand. Ohne auf den institutionellen Aufbau näher eingehen zu müssen, gelingt es dem Autor so, ein Psychogramm der NATO zu entwickeln, das den Rest der Abhandlung durchzieht.

Die folgenden Kapitel widmen sich den bekannten Reifeprüfungen der NATO während der Suez-Krise, der nuklearen Aufrüstung nach Sputnik sowie den Querschüssen von Charles de Gaulle ab 1958. Dabei zeichnete sich ab, dass die NATO weder ein Forum für nationalstaatliche Befindlichkeiten noch ein Streitschlichter spätkolonialer Konflikte in Algerien und im Kongo sein würde. Zugleich profilierte sich Washington als nukleare Supermacht, indem es Unterstützungsangebote zwischen London und Paris ausspielte, aber auch, indem es sein Potential während der Berlin- und Kuba-Krisen demonstrierte. Die zwiespältige Lehre aus dieser ersten Hälfte des Kalten Krieges war, dass militärische Abschreckung zwar funktionierte, aber nicht allen Bündnispartnern schmackhaft gemacht werden konnte. Dieses Spannungsverhältnis verstärkte sich in den folgenden Jahren durch die massive sowjetische Aufrüstung sowie die verzweifelten Versuche, ein System nuklearer Teilhabe innerhalb der NATO zu errichten.

weiterlesen

Empfohlene Zitierweise
Jan Stöckmann: Rezension zu: Sayle, Timothy A.: Enduring Alliance. A History of NATO and the Postwar Global Order. Ithaca  2019, in: H-Soz-Kult, 14.02.2020, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29208>.