Richard P. Tucker / Tait Keller / John Robert McNeill / Martin Schmid (Hg.), Environmental Histories of the First World War, Cambridge: CUP 2018.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Daniel Marc Segesser, Historisches Institut, Universität Bern.
Die Umweltgeschichte von Kriegen gehört trotz einiger in jüngerer Zeit erschienener Studien [1] weiterhin zu denjenigen Feldern der Geschichtswissenschaft, die noch wenig Aufmerksamkeit erhalten haben. Das gilt besonders für den Ersten Weltkrieg, wie Tait Keller in seiner Einleitung zu Recht feststellt (S. 4), und dies obwohl dieser weltumspannende Konflikt [2] immense Spuren in der Umwelt hinterlassen hat, die teilweise bis heute in der Landschaft sichtbar sind. Vielleicht liegt dies allerdings auch gerade daran, dass speziell an denjenigen Orten, die zu Ikonen der Erinnerung geworden sind, genau diese Zerstörungen der Umwelt durch eine bewusst gewählte Landschaftschoreographie weitgehend unsichtbar gemacht wurden und an anderen Stellen die Natur die bestehenden Wunden in der Landschaft zudeckte (S. 1–2). Gerade deshalb ist es das Ziel des vorliegenden Sammelbandes, nicht nur Lücken in der bestehenden Forschung mit Blick auf eine Umweltgeschichte des Ersten Weltkrieges zu schließen, sondern auch deutlich zu machen, dass es aus umweltgeschichtlicher Perspektive wichtig ist, den Betrachtungszeitraum auszudehnen, um die Komplexität, die geographischen Rahmenbedingungen sowie die längerfristigen Auswirkungen besser in den Blick zu nehmen.
Thema des Bandes sind so Fragen der Lebensmittelproduktion und Lebensmittelversorgung, die Auswirkungen des industriellen Charakters des Krieges auf Rohstoffquellen sowie die Bedeutung des Krieges für Umweltbewegungen oder die Rolle der Umwelt in der Erinnerungskultur. Im ersten Beitrag widmet sich Alice Weinreb dem Einsatz von Lebensmitteln als Waffe im Rahmen der britischen Blockadepolitik sowie den amerikanischen Food-Relief Bemühungen. Angesichts durchaus seit einiger Zeit vorliegender Studien [3] ist es erstaunlich, dass die Autorin ihren Beitrag als „first attempt to conceptualize food qua food as a way of linking environmental history and the history of warfare“ bezeichnet (S. 21). Dies lässt sich aber wohl dadurch erklären, dass die Autorin aus einer engeren umweltgeschichtlichen Perspektive argumentiert und daher Studien, welche das gleiche Thema aus einer anderen Richtung betrachten, nicht miteinbezieht. Dass es auch anders geht, zeigt der nachfolgende, sehr gelungene Beitrag von Ernst Langthaler zur Ernährungssituation in der Habsburgermonarchie. Der Linzer Historiker verknüpft dabei überzeugend die Zusammenhänge zwischen Produktionsrückgang, sozialer Krise und der Delegitimierung von Herrschaft. Das kriegsbedingte Ende der Kooperation der verschiedenen Teile der Monarchie mit Blick auf die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nahm nämlich den Zerfall der Habsburgermonarchie vorweg. Der folgende, etwas als Fremdkörper im ersten Teil wirkende Beitrag von Gerard J. Fitzgerald beschäftigt sich mit den Umweltfolgen des Baus der amerikanischen Edgewood-Fabrik für Giftgaswaffen im Jahr 1917. Sehr überzeugend erläutert der Autor darin die Auswirkungen der verwendeten giftigen Substanzen auf Umwelt wie Arbeiter und betont zu Recht, dass dem Umgang mit Abfallprodukten in der Produktion dieser neuen Waffen bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. weiterlesen
[1] Ergänzend zu den von Keller selber genannten Beispielen anzuführen sind Yuri Brugnara et al., Dezember 1916. Weisser Tod im Ersten Weltkrieg (Geographica Bernesia G91), Bern 2016, doi:10/4480/GB2016.G91.02; oder Gábor Demeter / András Vadas (Hrsg), Environments of War, in: Hungarian Historical Review 7 (2018), 3, S. 419–624.
[2] Vgl. u.a. Daniel Marc Segesser, Rezension zu: Stefan Rinke, Latin America and the First World War, und Heather Streets-Salter, World War One in Southeast Asia. Colonialism and Anticolonialism in an Era of Global Conflict, in: H-Soz-Kult, 22. 05. 2018, https:/
[3] Trotz erheblicher Relevanz für ihren Untersuchungsgegenstand nimmt Weinreb nie Bezug auf Avner Offer, The First World War. An Agrarian Interpretation, Oxford 1989, Stephen Cobb, Preparing for Blockade 1885–1914. Naval Contingency for Economic Warfare, Surrey 2013; oder Daniel Krämer et al. (Hrsg.), «Woche für Woche neue Preisaufschläge». Nahrungsmittel-, Energie- und Ressourcenkonflikte in der Schweiz des Ersten Weltkrieges, Basel 2016.
Empfohlene Zitierweise
Daniel Marc Segesser: Rezension zu: Tucker, Richard P.; Keller, Tait; McNeill, John Robert; Schmid, Martin (Hrsg.): Environmental Histories of the First World War. Cambridge 2018 , in: H-Soz-Kult, 19.07.2019, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-27486.