Norman Ingram, The War Guilt Problem and the Ligue des droits de l’homme, 1914-1944, Oxford: University Press 2019.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Jost Dülffer, Historisches Institut Universität zu Köln.
Norman Ingram, an der Concordia University in Montreal lehrend, ist 1991 mit einer Studie über drei französische pazifistische Organisationen in der Zwischenkriegszeit hervorgetreten.[1] Seither hat ihn das Thema französisches Denken über Krieg und Frieden nicht losgelassen. Die Summe vieler Aufsätze etc. stellt nun dieses Buch über die Ligue des Droits de l’Homme (LDH) dar, beide Weltkriege umfassend. Diese kam im ersten Buch noch nicht vor und ist insgesamt nur über Phasen einem weiten Pazifismusbegriff zuzuordnen. Sie entstand 1898 als Reaktion auf die Affaire Dreyfus als parteienübergreifende Bürgerbewegung und trat daher für die Rechte des Einzelnen ein. Sie entwickelte sich flächendeckend zu einer Massenorganisation mit Sektionen und Kapiteln und Mitgliederzahlen, die im Geschichtszeitraum zeitweilig wohl einige Hunderttausend Mitglieder aufwies. Es geht Ingram jedoch nicht um die gesamte Entwicklung der Organisation – sie hat in letzter Zeit durch William Irvine und Emanuel Naquet gründliche Darstellungen gefunden.[2] Bei ihm handelt es sich vielmehr um nur eine große Frage: die ideologische Diskussion um die Kriegsschuldfrage von 1914. Sie ist für Ingram der Schlüssel und rote Faden zum inneren Verständnis der LDH, um sie kreisten alle Debatten der „twenty years crisis“.
Der Verfasser betont mehrfach nachdrücklich, er wolle kein Buch über die Kriegsschuld selbst schreiben, sondern nur ihre Rolle in der Republik nachzeichnen, ja letztlich wird diese Debatte im Wandel zum Schlüsselereignis im republikanischen Selbstverständnis überhaupt, hier durchaus ähnlich der deutschen Kriegsschulddebatte, nur mit völlig anderen Vorzeichen. Die LDH hatte sich bis 1914 im weitesten Sinne gegen Krieg und damit pazifistisch ausgesprochen, aber mit Kriegsbeginn stellte sie sich in die Reihen der Union sacrée und trat damit erstmals und dauerhaft in den Dienst der französischen Nation. Der Sprung von der Verteidigung individueller Rechte zu derartigen Kollektivrechten habe die entscheidende Entwicklung dargestellt.
Das Buch bildet ein Who is who der einschlägigen französischen Intellektuellen und/oder Politiker in fein verästelten Argumentationen und vor allem Diskussionen und Kontroversen ab. Von besonderer Bedeutung war dabei Victor Basch, Germanist, Mitgründer der LDH, in den 1920er-Jahren lange ihr Präsident. Schon 1915 legte er auf Grund der gerade erschienenen Farbbücher der einzelnen Mächte zur Kriegsschuldfrage eine auch in Buchform erschienene Publikation vor, die so etwas wie einen Leitartikel für die LDH und einen basso continuo für den ganzen Untersuchungszeitraum lieferte, zumindest einen entscheidenden Fluchtpunkt, auf den man immer wieder, auch kritisch zurückkam. Danach war Deutschland allein schuld am Kriegsbeginn. Im Abwägen von Anderen in der LDH erhielten dagegen auch andere Staaten ein gewisses Maß an Verantwortung zuerkannt. Weiterlesen
Empfohlene Zitierweise
Jost Dülffer: Rezension zu: Ingram, Norman: The War Guilt Problem and the Ligue des droits de l’homme, 1914-1944. Oxford 2019, in: H-Soz-Kult, 08.10.2019, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28823>.