Horst Lademacher, Die Illusion vom Frieden. Die zweite Internationale wider den Krieg 1889–1919, Münster: Waxmann Verlag 2019.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Gottfried Niedhart, Historisches Institut, Universität Mannheim.
Mit seinem 1910 in London erschienen Buch The Great Illusion warnte Norman Angell vor der Illusion, Krieg könne sich in irgendeiner Weise auszahlen. Frieden war auch ein Anliegen der Zweiten Internationale als Weltverband sozialistischer Parteien. Krieg wurde nicht nur delegitimiert. Die transnational operierende Arbeiterklasse sei auch dazu aufgerufen, einen Krieg zu verhindern. Wie diese selbstgestellte Aufgabe angegangen wurde, beschreibt Horst Lademacher, ein seit Jahrzehnten ausgewiesener Kenner der Materie. Auch er spricht von einer Illusion. Man sei einer „Illusion vom Frieden“ nachgejagt. Nicht etwa, weil Frieden trotz der Zuspitzung internationaler Großmachtkonflikte nicht erreichbar gewesen wäre, sondern weil die Internationale eher einer „Schimäre“ als einer „kampfbereiten Gemeinschaft“ geglichen habe (S. 234).
Schon den Gründungskongress in Paris 1889 sieht der Autor vom Krebsschaden des nationalen Denkens belastet, der die Idee der internationalen Solidarität zu einem Lippenbekenntnis machte. Mit der Kriegsthematik trat die nationale Orientierung von Beginn an als Bremsklotz in Erscheinung. Nicht zuletzt im Deutschen Reich waren die Arbeiter mitnichten „vaterlandslose Gesellen“, so dass die „solidarische Aktion“ eines „grenzüberschreitenden Generalstreiks“ keine realistische Option darstellte. Die „deklamatorische Stärke“ der Internationale, hinter der weltweit 12 Millionen Wähler standen und die in 200 Tageszeitungen zum Ausdruck kam, stand in krassem Gegensatz zur nur „schwach entwickelten Bindekraft innerhalb des Gesamtverbands“ (S. 48f.). Darum könne also kaum davon gesprochen werden, die Internationale sei 1914 zusammengebrochen.
Der erste Hauptabschnitt des Buches befasst sich mit den inneren Bruchlinien, die einer schlagkräftigen „Kampfeinheit“ (S. 222) entgegenstanden. Von sich reden machte die Internationale bei ihren regelmäßig stattfindenden Kongressen. Seit dem Amsterdamer Sozialistenkongress 1904 erörterten die Delegierten zunehmend die Fragen von Krieg und Frieden. Die in aller Ausführlichkeit referierten Diskussionen verwebt Lademacher mit Parteitagsdebatten einzelner Parteien, vornehmlich der SPD sowie mit den seit Marx und Engels angestellten Überlegungen, wie Krieg und kapitalistische Wirtschaftsordnung zusammenhängen. Zu wenig erfährt man über das organisatorische Gefüge, in dem sich die nationalen Parteien mit dem in Brüssel ansässigen Internationalen Sozialistischen Büro (ISB) als Anlauf- und Koordinierungsstelle bewegten. Lademacher konzentriert sich auf politische Programme, strategische Entwürfe, Argumentations- und Wahrnehmungsmuster. Weiterlesen
Empfohlene Zitierweise
Gottfried Niedhart: Rezension zu: Von Lademacher, Horst: Die Illusion vom Frieden. Die zweite Internationale wider den Krieg 1889–1919. Münster 2018, in: H-Soz-Kult, 16.10.2019, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28921>.