Christian Lüdtke, Hans Delbrück und Weimar. Für eine konservative Republik – gegen Kriegsschuldlüge und Dolchstoßlegende, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018.
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Sebastian Rojek, Historisches Institut, Universität Stuttgart.
Christian Lüdtke widmet sich in seiner Bonner Dissertation einem der wichtigsten Intellektuellen und politischen Publizisten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik: dem Historiker Hans Delbrück (1848–1929). Erstaunlicherweise liegt bisher keine wissenschaftliche Biographie über diesen umtriebigen und bestens vernetzten Wissenschaftler vor. Die bisherige Forschung widmete sich zwar verschiedenen Aspekten der Aktivitäten Delbrücks, aber eine umfassende Analyse, die sich auf den reichhaltigen Nachlass Delbrücks stützt, steht nach wie vor aus.[1] Die bestehende Lücke zu füllen, strebt auch Lüdtke mit seiner Arbeit nicht an. Er versteht seine Studie vielmehr als eine Untersuchung des „politische[n] und publizistische[n] Wirkens des Historikers“ (S. 8) in der Weimarer Republik. Dabei ist sein Erkenntnisinteresse weder primär biographisch noch als Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaften motiviert. Vielmehr ist Lüdtke an der politischen Kultur im Deutschland der 1920er-Jahre interessiert. Delbrück dient ihm als „Gradmesser“ (S. 14), um rekonstruieren zu können, wie sich die „politische Grundachse des Reichs […] im Verlauf der Jahrzehnte von etwa 1890 bis 1945 stückweise nach rechts“ (S. 11) verschob. Der Autor unterstellt eine hohe Kontinuität der insgesamt konservativ grundierten politischen Vorstellungen seines Protagonisten, sodass sich anhand von dessen Interventionen in den historisch-politischen Debatten seiner Zeit zeigen lasse, wie diese sich zunehmend in Richtung eines radikalen Nationalismus im Sinne Geoff Eleys entwickelt hätten. Die Positionen Delbrücks erscheinen dabei als mögliche Alternativen, die den verfeindeten politischen Lagern in der Republik potentiell einen Weg zur Aussöhnung wiesen. Dass diese sich letztlich nicht realisieren ließen, belege die langfristige Verschiebung der politischen Kultur nach rechts.
Lüdtkes Studie stützt sich neben Delbrücks Publikationen vor allem auf dessen umfangreichen Nachlass, insbesondere die zahlreich erhaltenen Briefwechsel, die Auswertung relevanter Periodika und die Hinterlassenschaft, die Delbrücks Engagement in verschiedenen Kommissionen betrifft. Diese günstige Überlieferungssituation erlaubt nicht nur einen Einblick in Delbrücks weitreichende Aktivitäten, sondern macht auch dessen Vernetzung mit nahezu sämtlichen politischen Lagern der Republik transparent. In der Einleitung entfaltet der Autor seine Untersuchungskategorien, gibt Aufschluss über die Quellenlage, den Forschungsstand und verortet seine Arbeit in der Kulturgeschichte der Politik und der Intellektuellengeschichte. Bevor Lüdtke sich seinem eigentlichen Gegenstand zuwendet, erläutert er im Schnelldurchlauf Delbrücks (politische) Entwicklung während des Kaiserreichs. Delbrück stammte aus einflussreicher Familie und verfügte über beste Kontakte zu den Spitzen des Reiches. Er hatte am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen und studierte anschließend Geschichte. In den 1880er-Jahren war er als Parlamentarier im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag tätig, ohne aber eine dauerhafte Parteibindung einzugehen. Dennoch habe sich Delbrück nicht als Politiker verstanden, sondern primär als Gelehrten (seit 1896 bekleidete er den Lehrstuhl für Weltgeschichte in Berlin), der vor dem Hintergrund seiner historischen und insbesondere kriegsgeschichtlichen Kenntnisse publizistisch aktiv war. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erlaubte ihm vor allem die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Preußische Jahrbücher“, auf dem Meinungsmarkt unabhängig und durchaus kritisch gegenüber der Politik von Kaiser und Reichsleitung zu agieren. Lüdtke kennzeichnet seinen Protagonisten als mehr oder weniger typischen preußisch-protestantischen Konservativen, der zwar national im Sinne einer Gleichberechtigung aller Nationen dachte, aber den Alldeutschen ob ihres nationalen Fanatismus kritisch gegenüberstand. Deshalb bekämpfte er während des Weltkriegs die Anhänger eines Siegfriedens und weitreichender Kriegsziele, wie sie sich etwa in der „Vaterlandspartei“ und der 3. Obersten Heeresleitung artikulierten.
Empfohlene Zitierweise
Sebastian Rojek: Rezension zu: Lüdtke, Christian: Hans Delbrück und Weimar. Für eine konservative Republik – gegen Kriegsschuldlüge und Dolchstoßlegende. Göttingen 2018, in: H-Soz-Kult, 05.12.2019, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-27729>.