Rezension: Barbara Zehnpfennig, Politischer Widerstand

Barbara Zehnpfennig (Hg.), Politischer Widerstand. Allgemeine theoretische Grundlagen und praktische Erscheinungsformen in Nationalsozialismus und Kommunismus, Baden-Baden: Nomos 2017.

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Marco Brödel, Universität Leipzig.

In diesem Jahr wird in vielfältiger Form des Aufbegehrens in der ehemaligen Tschechoslowakei, dem sogenannten „Prager Frühling“, gedacht. In diesem Zusammenhang werden Fragen nach den Motiven, Zielen und Mitteln der zum Teil widerständischen reformistischen Gruppen und der repressiven sowjetischen Staats- und Parteiführung diskutiert. Eben jene Fragen spielen eine zentrale Rolle in dem bereits 2017 im Nomos Verlag erschienenen und von Barbara Zehnpfennig, Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau, herausgegebenen Sammelband zum politischen Widerstand. Die geschichtswissenschaftliche Forschung zu diesem Topos ist unüberschaubar groß. Dies gilt besonders für den Widerstand im Nationalsozialismus[1], aber auch für den im sowjetischen Machtbereich.[2] Hinzu kommen die unzähligen Beiträge angrenzender Forschungsbereiche.

Der Band beginnt mit einem ideengeschichtlichen Kapitel. Stefan Schick, tätig am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie der Universität Regensburg, beschäftigt sich mit den mittelalterlichen Anfängen eines modernen Widerstandsrechts, welche er vor allem anhand der Überlegungen Thomas von Aquins aufzeigt. Dies führt der Historiker Robert von Friedeburg weiter, indem er sich mit der Widerlegung der These beschäftigt, dass Aufstände und Revolutionen in der Frühen Neuzeit auch im Hinblick auf das Widerstandsrecht den Weg in die Moderne geebnet haben. Die Politologin Frauke Höntzsch beschreibt in ihrem Beitrag das kollektive Widerstandsrecht als Übergangsphänomen an der Schwelle von der Frühen Neuzeit zur Moderne, indem sie auf die Überlegungen von Locke, Hobbes und Kant näher eingeht und den Bogen bis zum Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht 1956 spannt. Abschließend erläutert der Rechtswissenschaftler Rolf Gröschner das Widerstandsrecht im Grundgesetz, dessen Ursprünge und Veränderungen. Er kontextualisiert dieses durch Vergleiche mit den Verfassungen anderer EU-Staaten und einzelner Bundesländer. Sein Verweis auf die Symbolfunktion des Widerstandsrechts für eine wehrhafte Demokratie könnte begründen, weshalb der Widerstand von Kommunisten im Nationalsozialismus im vorliegenden Band nur am Rand erwähnt wird, da diese nicht für eine freiheitlich demokratische Ordnung eintraten.

Der zweite Teil des Sammelbandes zum Widerstand im Nationalsozialismus öffnet mit einem Beitrag des Militärhistorikers Winfried Heinemann zur Motivlage des militärischen Widerstands. In sehr stringenter Art und Weise behandelt er die zentralen militär-fachlichen und ethisch-moralischen Motive der Akteure rund um das Attentat vom 20. Juli 1944. Dabei arbeitet er heraus, dass es sich um einen klassischen Militärputsch gehandelt habe, der, entgegen vieler Stimmen, kompetent geplant und durchgeführt worden sei. Auch der Historiker Peter Steinbach widmet sich dem 20. Juli 1944, genauer gesagt Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Er plädiert dafür, bei der Betrachtung von Stauffenberg und seiner Mitstreiter die Spannungsverhältnisse wie Kooperation/Opposition und Dienstfunktion/Widerstand in den Blick zu nehmen. Als jemand, der einen maßgeblichen Anteil an der Erforschung des Widerstandes im Nationalsozialismus und dessen Rezeption hat[3], gelingt es ihm plausibel darzustellen, wie Empörung zu Verweigerung und innere Opposition zum Widerstand führte. Peter Steinbach kritisiert die moralisierende Deutung durch die Geschichtswissenschaft, die dabei den historischen Kontext außer Acht lasse. Seine berechtigten Einwände sind allerdings nicht immer lückenlos untermauert – als Beleg für die demokratische Gesinnung Stauffenbergs führt er beispielsweise einen Lobesbrief Theodor Heuss‘ an die Witwe Stauffenbergs von 1952 an. Dem religiös motivierten Widerstand nähert sich der Theologe Gerhard Ringshausen durch einen Vergleich der Biografien Martin Niemöllers und Hans Bernd von Haeftens. Seine Darstellung baut Ringshausen um die private Korrespondenz von Haeftens und die Predigten Niemöllers auf, verknüpft das Schicksal der beiden miteinander und bettet es in das Zeitgeschehen ein. Die Problematik des Tyrannenmords, der sich von Haeften angesichts seiner Beteiligung am Hitler-Attentat und der seines Bruders gegenübersah, soll hier als Beispiel für die an vielen Stellen sehr gut funktionierende Verknüpfung von Theorie und Praxis durch die Zusammenstellung der Beiträge genannt werden. weiterlesen

[1] Siehe u. a. Auswahlbibliographie zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Zeitgeschichte-online, Juli 2004, https://zeitgeschichte-online.de/thema/auswahlbibliographie-zum-widerstand-gegen-den-nationalsozialismus (23.08.2018).
[2] Exemplarisch genannt sei hier die Bibliografie zu Opposition, Widerstand und politischer Repression in der SBZ und DDR des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e.V., in: https://www.archiv-buergerbewegung.de/datenbank-bibliografie(23.08.2018).
[3] Siehe u. a. Peter Steinbach, Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. Ausgewählte Studien, Paderborn 1994; ders. / Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, Berlin 2004.

Empfohlene Zitierweise
Emiliano Perra: Rezension zu: Pearce, Andy:  Holocaust Consciousness in Contemporary Britain. New York 2014, in: H-Soz-Kult, 19.11.2014, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-23022>.