Rezension – S. Koschut (Hrsg.): Emotionen in den Internationalen Beziehungen

Simon Koschut (Hrsg.): Emotionen in den Internationalen Beziehungen (Emotionen in Politik und Gesellschaft 1), Baden-Baden: Nomos Verlag 2020.

 

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Jost Dülffer, Historisches Institut, Universität Köln.

Emotionen sind „in“, sie haben nun auch bei uns das Feld der Internationalen Beziehungen (IB) erreicht. Simon Koschut, als Politologe Privatdozent und Heisenberg-Stipendiat am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, versammelt in diesem Band neun Fallstudien, die er in das Forschungsfeld einordnet. Zugleich ist der Band Auftakt einer einschlägigen Reihe, die wohl allgemeiner aus sozialwissenschaftlicher Sicht den Emotionen gewidmet werden soll. Was Emotionen sind und wie Gefühle, Affekte und Stimmungen abgegrenzt werden können, bleibt auch nach Koschut „hoch umstritten“ (S. 9). Sie gibt es spontan, sie werden gerade in der internationalen Politik auch inszeniert. Oft finden sich mehrere Emotionen gemischt. Emotionen haben einzelne Menschen, aber auch soziale Gruppen und Verbände. Am leichtesten kann man wohl sagen: Sie ergänzen das traditionelle Modell von rational choice, ja befinden sich mit diesem in Wechselwirkungen. Eine Matrix von Koschut (S. 35f.) weitet das Forschungsfeld in andere Disziplinen aus und nennt Theoretiker.

Robin Markwica untersucht den Angriffsbefehl Saddam Husseins auf Kuwait 1990. Ob es dazu erforderlich ist, sich auf die Appraisal-Theorie der Sozialpsychologie zu stützen und sechs Hauptemotionen zu kategorisieren, steht dahin. Jedenfalls sucht er zu zeigen, dass dessen Aktion zunehmend von Wut über fehlende kuwaitische Verhandlungsbereitschaft getragen war. In ganz ähnlicher Weise nähert sich Regina Heller den Emotionen in Russlands Politik gegenüber dem Westen, konkret: der zunehmenden Wut unter anderem bei Wladimir Putin über den in seiner Sicht verweigerten Status in der Zusammenarbeit mit dem Westen. Das begann demnach ab 1990, wie narrativ dicht dargelegt wird, und reicht bis an die unmittelbare Gegenwart heran. Emotionale Erfahrung und Erwartung gingen demnach eine sich verstärkende Verbindung ein. Was nicht thematisiert wird: Wie verhielt sich die Wut eines Autokraten wie Saddam Hussein und die kollektive russische Wut bis hin zu Putin zueinander? Wie kriegsfördernd ist die eine oder andere?

Das Foto des an den Strand gespülten Flüchtlingskindes Alan Kurdi von 2015 ging um die Welt. Gabi Schlag untersucht dessen Rezeptionsgeschichte als „globale Ikone des Mitgefühls“ (S. 64). Dabei gelingt es ihr sehr gut darzustellen, dass Bildlichkeit ein zentrales Kommunikationsmedium für Emotionen bedeutet, aber auch der Wandel vom journalistischen Scoop zu einem dauerhaften Appell. Ob das internationale Politik veränderte, sei dahingestellt.

Von einem performative turn geht Jelena Cupac aus, wenn sie die Gefährdungen der liberalen Ordnung zum Thema macht. Diese werde durch Narrative bestritten, die sich nicht durch objektive („rationale“? JD) Merkmale auszeichneten, sondern eben durch Schlüssigkeit, die emotional bedingt sei. Die entsprechenden Akteure schafften es auf diese Weise mit glaubhaften Narrativen, die „grievances“ des Volkes zu bündeln. Die Schutzverantwortung, responsibility to protect (R2P) steht im Zentrum. Wer übernimmt dafür im internationalen System, das als Mehrebenensystem bis hin zum UN-Sicherheitsrat entfaltet wird, Verantwortung? Verantwortung heißt zugleich, dass ein entsprechendes „Verantwortungsgefühl“ da sein muss, und hiermit sind dann Emotionen angesprochen. Die Autorin nimmt an, dass „emotionale Überzeugungen ihre Bedeutung verlieren, wenn ihnen ihre emotionale Qualität entzogen wird“ (S. 105). Wie das passieren kann, bleibt mir unklar. Immerhin gibt Cupac durch sprechende Zitate des „gruppenspezifischen Emotionsrepertoires der R2P-Generation“ (S. 115) einen guten Überblick, liefert aber auch Unterschiede etwa der aufeinander folgenden US-Botschafterinnen bei der UN, Samantha Power oder Susan Rice.

„Midán-Momente“ sind für Bilgin Ayata und Cilja Harders (im Anschluss an eine einschlägige Buchpublikation) „Umbruchphasen, in denen festgefügte Emotionen wie etwa Angst vor Repression destabilisiert und so neue Formen des Miteinander möglich werden“ (S. 123). Das illustrieren sie gekonnt an den Manifestationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo 2011, deren Dauer mal mit 15 Tagen, mal mit 18 Tagen angegeben wird. Wichtig war die Raumerfahrung der Demonstranten, aber auch die Präsenz menschlicher Körper. Es gab also „zeitlich-räumliche Arrangements mit sehr unterschiedlichen sinnlichen Qualitäten“ von Angst, Glück, Sorge, also Emotionen, die sich zum Teil überlappten (S. 130f.). Der Blickwechsel der Autorinnen bringt es auf den – nicht unbedingt emotionalen – Begriff: Der Tahrir-Platz sei zugleich utopischer Ort und soziopolitisches Schlachtfeld gewesen (S. 133).

Emotionen in die Terrorismusforschung einbringen möchte Maéva Clément. Diese bildeten ein sinnvolles Prisma, mit dem sich etwa kumulative Radikalisierung besser untersuchen lasse, aufs Internationale gewandt: das sei auch für den Krieg gegen den Terror fruchtbar zu machen. Den sozialen Medien widmet sich Sybille Reinke de Buitrago, wenn sie emotionale Frames in islamistischen Online-Diskursen und ebenso in rechtsextremistischen oder populistischen Diskursen benennt. Der Autorin geht es bei den als extrem schwierig betrachteten Umgangsweisen letztlich um eine Stärkung von Medienkompetenz bei der Bekämpfung des Terrorismus, nicht gerade ein neuer Ausblick.

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Empfohlene Zitierweise
Jost Dülffer: Rezension zu: Koschut, Simon (Hrsg.): Emotionen in den Internationalen Beziehungen Baden-Baden  2020, in: H-Soz-Kult, 21.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95198>.