Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von: Matthias Thaden, Humboldt-Universität zu Berlin.
Der mutmaßliche Auftragsmord am tschetschenischen Islamisten Selimchan Changoschwili im August 2019 bescherte dem Wirken des russischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik eine bislang ungekannte Aufmerksamkeit. Kaum thematisiert wurde in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Kontrolle oppositioneller Exilanten durch die Konsulate und Staatssicherheitsdienste ihrer Heimatländer keinesfalls eine neue Entwicklung ist, sondern ausländische Politaktivisten in der Bundesrepublik stets begleitet hat. Trotz der Virulenz, die dieses Thema bis heute entfaltet, ist es in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang nur wenig beleuchtet worden. Dies dürfte auch mit dem erschwerten Zugang zu Quellenmaterial der involvierten staatlichen Akteure zusammenhängen. Es erstaunt insofern nicht, dass die vorliegende Studie über die jugoslawischen Auftragsmorde im Ausland ein Land in den Mittelpunkt rückt, das nicht mehr existiert und dessen Staatsgeheimnisse in den Archiven der sieben Nachfolgestaaten vergleichsweise leicht zugänglich sind. Nicht nur aufgrund solch „praktischer“ Erwägungen stellt das sozialistische Jugoslawien jedoch einen guten Ausgangspunkt zur Erforschung staatlicher Repressionspraktiken im Ausland dar. Tatsächlich waren gerade die jugoslawischen Geheimdienste auf diesem Gebiet besonders aktiv. Kein Staat war während des Kalten Krieges für mehr Morde an Dissidenten verantwortlich. Insbesondere gegen kroatische Exilanten gingen jugoslawische Agenten, Informanten und Auftragskiller mit besonderer Brutalität und Vehemenz vor.
Dass sich diese Auslandsoperationen vornehmlich gegen Exilanten in der Bundesrepublik richteten, ist hierzulande indes weitgehend in Vergessenheit geraten. Lediglich der Fall von Josip Perković und Zdravko Mustač, die vor dem Münchner Landgericht wegen des Mordes am kroatischen Emigranten Stjepan Đureković im August 2016 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, erregte ein gewisses Aufsehen für das Thema. Wie schon drei weitere neuere Publikationen trägt auch die Monografie des in Aarhus lehrenden Christian A. Nielsen zu einer stärkeren Würdigung des Wirkens kroatischer Exilanten in der Bundesrepublik bei. In seiner Funktion als Gerichtsgutachter im Münchner Prozess hatte der Autor nicht nur uneingeschränkten Zugang zu umfangreichem und zum Teil bis heute gesperrtem Aktenmaterial der deutschen Polizeibehörden, sondern hat sich zudem durch ein wahres Massiv an Akten aus den jugoslawischen Archiven gearbeitet. So ist es Nielsen in der vorliegenden Studie gelungen, Licht in das wenig erforschte Innenleben der jugoslawischen Staatssicherheitsdienste zu bringen. Auch hat er der Erforschung antijugoslawischer Exilstrukturen eine bislang nur unzureichend berücksichtigte Dimension hinzugefügt.
Zahlreiche kroatische Publikationen, so der Autor, befassten sich mit dem jugoslawischen „Staatsterror“, blendeten jedoch aus, dass auch die Exilanten häufig politische Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung anwendeten. Es ist ein Verdienst dieser Studie, dass der Autor die Fallen jener einseitigen historiografischen Parteinahmen gekonnt umgeht. Vielmehr bietet er ein Narrativ an, dass auf Schuldzuweisungen verzichtet und stattdessen die komplexen Beziehungen und Dynamiken des Verhältnisses zwischen staatlichen jugoslawischen Stellen und der antikommunistischen Emigration herausarbeitet. Da für konkrete Fälle zumeist schlicht das Beweismaterial fehle, erteilt Nielsen auch gleich zu Beginn all jenen eine Absage, die sich Aussagen erhoffen über die Benennung von Urhebern einzelner Gewaltverbrechen. Sein wesentliches Interesse zielt auf die Strukturen und Ressourcen, mithilfe derer die Staatssicherheit und ihre seit 1966 zunehmend dezentralisierten Unterorganisationen in den einzelnen Republiken die antijugoslawischen Exilanten im Ausland zu bekämpfen versuchten.
Im ersten Kapitel zeichnet Nielsen zunächst den institutionellen Rahmen der jugoslawischen Staatssicherheitsdienste sowie ihren organisatorischen – und terminologischen – Wandel nach. Im weiteren Verlauf der Arbeit taucht er tief in die administrativen Einbettungen und Zuständigkeiten der kroatischen Behörde (SDS, Služba državne sigurnosti) ein, die aufgrund der kroatischen Herkunft der meisten Exilanten für die Mehrheit der „Auslandsoperationen“ verantwortlich zeichnete. Um deren Ziele und Rationalitäten zu erfassen, geht Nielsen im zweiten Kapitel detailliert auf mehrere Handreichungen und interne Dokumente ein. Darin wurden die Regeln zur Anwerbung und Tätigkeit von Informanten sowie Maßnahmen zur Infiltrierung von Organisationen für den internen Gebrauch festgelegt, die mit der immer stärkeren Abwanderung sogenannter „Gastarbeiter“ ab den späten 1960er-Jahren und deren befürchteter Beeinflussung durch die politische Migration immer wichtiger wurden. Im weiteren Verlauf befasst sich der Autor genauer mit jener Gruppe, die als „feindliche Emigration“ definiert wurde. Dabei rekapituliert er im vierten Kapitel deren Radikalisierungstendenzen, welche die jugoslawischen Autoritäten im Laufe der 1970er-Jahre unter einen immer stärkeren Handlungsdruck setzten. Zwar habe neben Desinformationskampagnen auch stets die Überwachung und Sabotage von Dissidenten zum Repertoire der Dienste gezählt. Die Ermordung von Regimegegnern sei dabei jedoch ein „absolute last resort“ gewesen, wie Nielsen anhand mehrerer Fälle aus den 1970er-Jahren aufzeigt (S. 97). Nichtsdestotrotz sei ab dem Jahr 1973 in der Belgrader Zentrale „a more offensive stance in uncovering and stopping various forms of enemy activity through emigration“ ausgerufen worden (S. 119). Nielsen beschreibt sehr anschaulich, wie dies in der Folge zu einer zunehmenden Kriegsrhetorik auf Seiten staatlicher Stellen führte, die mit effektiveren Kontrollpraktiken, aber auch mit Versuchen der „physischen Liquidierung“ gegen besonders exponierte Exilakteure einherging. Besonders eingehend illustriert er dies anhand der weiter oben bereits erwähnten Ermordung Stjepan Đurekovićs im Juli 1983, die Nielsen aufgrund seiner Gutachtertätigkeit im fünften Kapitel in beeindruckender Dichte zu rekonstruieren vermag.
Gerade am Fall von Đureković, aber auch anhand von anderen Beispielen vermuteter oder tatsächlicher Involvierung der jugoslawischen Staatsicherheit in der Bundesrepublik hätte es sich gelohnt, die aufkeimende Kritik an deren Tätigkeiten auf deutschem Boden stärker zu berücksichtigen. Insgesamt bleiben die Debatten in den Gastländern und ihr Einfluss auf die jugoslawischen Auslandsoperationen, abgesehen von einigen knappen Ausführungen zur Rolle der bundesdeutschen Anerkennungsdiplomatie und der politischen Großwetterlage während des Kalten Krieges (S. 106–108, 125–127), unterbelichtet. Hier hätte noch stärker der Zusammenhang zwischen außenpolitischen Erwägungen und ihren breiteren gesellschaftlichen Kontexten herausgearbeitet werden können. So wurden, auch bedingt durch aufkommende Debatten um Migration und Menschenrechte, die Tätigkeiten des jugoslawischen Staates in der Bundesrepublik etwa ab den späten 1970er-Jahren thematisiert und vor parlamentarische Gremien gebracht. So wandelten sich in dieser Zeit die politischen Möglichkeitsstrukturen für die Exilaktivisten, die ihre Rhetorik auch zum Teil an die neuen diskursiven Bedingungen anpassten. Inwiefern dies auch in den jugoslawischen Sicherheitskreisen zu (taktischen) Diskussionen und Wandlungsprozessen führte, wäre eine interessante Frage gewesen. Ihre Beantwortung hätte den Konfliktdynamiken zwischen Exilanten und den jugoslawischen Stellen eine wichtige Dimension hinzugefügt, dabei vermutlich jedoch auch den Rahmen dieses Grundlagenwerks gesprengt. So ist es Nielsens akribisch recherchierter Arbeit zu verdanken, dass dieses Desiderat nun umso klarer benannt werden kann.
Empfohlene Zitierweise
Matthias Thaden: Rezension zu: Nielsen, Christian Axboe: Yugoslavia and Political Assassinations. The History and Legacy of Tito’s Campaign against the Émigrés. London 2020, in: H-Soz-Kult, 05.03.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95414>.